Interviews

DJ Jonas Visti über die Liebe zu vinyl

Jonas Visti ist Teil unserer Summer-Read-Reihe – einer Reihe von Interviews, die Talente feiert und möglicherweise die gängigen Vorstellungen darüber, was in uns selbst und in anderen Talente zum Vorschein bringt, in Frage stellt, in ein neues Licht rückt oder gar erstrahlen lässt. 

Das Interview wurde von dem Journalisten Kasper Steenbach geführt.

Wann hast du deine erste Vinylplatte bekommen?

Das war zu meinem 16. Geburtstag im Jahr 2007. Es war ‚The Dark Side of the Moon‘ von Pink Floyd, die mir ein Freund geschenkt hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon lange CDs gesammelt, aber dieser Freund hatte erkannt – wohl noch vor mir –, dass es für mich kein Zurück mehr geben würde, wenn ich erst einmal in die Welt der Vinyls eingetaucht wäre. In den darauffolgenden Jahren kaufte ich selbst zwar nicht wirklich viele Platten, hatte aber das Gefühl, dass ich mich darauf einstellte, mit einer Sammlung zu beginnen. Denn wenn ich das tun wollte, dann wollte ich es auch ernsthaft tun. Bis heute bin ich froh, dass ich nicht mein ganzes Geld für die Platten ausgegeben habe, die ich mir als Teenager gekauft hätte, denn heute würde ich sie wahrscheinlich nicht mehr hören. Als ich Anfang zwanzig war und meine erste Plattenbörse besuchte, kaufte ich dafür innert ein paar Stunden gleich 30 Platten. Dies sind alles Platten, die ich auch heute noch höre und die mir nach wie vor Freude bereiten. Die Platten ‚Nancy & Lee‘ aus dem Jahr 1968 (Nancy Sinatra und Lee Hazlewood, Anm. d. Red.) und die Platte ‚Fancy Free‘ von Donald Byrd aus dem darauffolgenden Jahr laufen bei mir immer noch in Dauerschleife.

 

 

Wann wurde dir klar, dass Vinyl ein Werkzeug ist, mit dem du auch arbeiten konntest?

In meinem Elternhaus auf Lolland gab es viele Instrumente und eine große Plattensammlung. Dort war es üblich, dass man Instrumente spielte und Platten anhörte.

“Mein Vater war audiophil und ein HiFi-Enthusiast. Er wies mich etliche Male zurecht, weil ich eine Schallplatte falsch eingelegt oder hin und her bewegt hatte.”




Eigentlich war es mein Halbbruder, der ein Vinyl-DJ war, der mir zeigte, dass man an den Platten ziehen und zerren kann, ohne dafür gescholten zu werden. Ich fand das ziemlich cool. Als ich dann anfing, meine eigene Sammlung aufzubauen und DJ-Jobs anzunehmen, war es folglich eine Art natürliche und etwas verspätete Teenager-Rebellion, dass ich meine Vinyls als DJ-Tools benutzte und diese zwangsläufig auch ein paar Kratzer abbekamen.

 

 

Wie groß ist deine Sammlung heute?

Ich habe eine ziemlich dynamische Kollektion, da ich versuche, von Zeit zu Zeit wieder etwas davon zu verkaufen. Ich habe etwa 1500 Platten. Das ist eigentlich eine ziemlich gute Größe für eine Sammlung, wenn man bedenkt, dass ich einen Überblick haben möchte und auch die Zeit haben muss, alle Platten hin und wieder zu hören. Ich mag kein ‚Füllmaterial‘ und finde es lästig, Platten zu haben, von denen ich weiß, dass ich sie nie anhören werde. Deshalb bin ich selten beeindruckt von riesigen Sammlungen, wenn diese nicht einigermaßen geordnet sind. Zudem sollten nur coole Platten dabei sein, die man auch immer mal wieder anhören möchte.

 

 

Gibt es eine besondere Perle in deiner Sammlung?

In meiner Sammlung gibt es mittlerweile eine Reihe von Perlen, ohne die ich nicht mehr leben möchte. Aber wenn ich eine Platte auswählen müsste, dann wäre es eine sehr, sehr schöne Erstpressung des Albums ‚Quem É Quem‘ von João Donato aus dem Jahr 1973. Wenn die Wohnung in Flammen stünde, würde ich neben meiner Freundin und meinen Fotoalben diese Platte als Erstes retten. Diese Platte ist ein absolutes Meisterwerk der Musikproduktion und hat die Messlatte dafür, wie gut brasilianische Platten klingen können, eindeutig höher gelegt. Sie ist eine hervorragende Stereomischung mit einem unübertroffenen Detailreichtum. Jedes Instrument klingt für sich genommen gestochen scharf, und gleichzeitig bildet alles ein perfektes, symbiotisches Ganzes, wie Perlen auf einer Schnur.


"Selten habe ich so viel Tiefe und Vielschichtigkeit in Musik erlebt – und zwar auf eine langlebigere und nachhaltigere Weise als z. B. bei Wind- oder Sonnenenergie."




Die instrumentalen Darbietungen sind unübertroffen und schaffen einen perfekten Spagat zwischen der Tatsache, dass alle Mitwirkenden ihr Instrument exzellent beherrschen und dass eine ganze Reihe von außerordentlich geschmackvollen Entscheidungen getroffen wurde. João Donato hat für das Album die besten Lieder seiner Karriere geschrieben und singt grandios mit seiner gedämpften und ruhigen Stimme, in der gleichzeitig eine gewisse Süße und ein großer Schmerz zu spüren ist: Absolute Perfektion.



Wie pflegst du deine Sammlung?

Ich pflege meine Sammlung, indem ich sie nach Genres ordne, und ich habe sie bei der Online-Plattenbörse Discogs registriert. Außerdem bin ich – wahrscheinlich in den Augen vieler – etwas pingelig, wenn es um den Schutz meiner Platten geht. Wenn ich eine neue Platte bekomme, lasse ich sie nämlich normalerweise durch meinen Plattenreiniger laufen. Das ist eigentlich nur ein einfacher, manueller Knosti-Plattenreiniger, den man mit der Hand bedient. Wenn es sich um wirklich schwere und seltene Platten handelt, die gereinigt werden müssen, bringe ich sie zur Rundfunkanstalt DR und lasse sie in der hochmodernen Plattenwaschmaschine ClearAudio Smart Matrix Silent reinigen. Nach dem Trocknen kommt die Platte dann in eine neue antistatische Innenhülle, wobei die ursprüngliche Innenhülle im Plattencover aufbewahrt wird. Das Plattencover kommt wiederum in eine sehr dünne transparente Hülle mit einer Öffnungs-/Schließfunktion, was in der Praxis dazu führt, dass man die Hülle niemals berührt. Schließlich kommt alles in eine dicke Hülle, in die ich die Platte mit der neuen antistatischen Innenhülle und dem Plattencover stecke, zusammen mit einem Stück harter Pappe am Rücken, damit sie nicht knicken kann. Ich gebe zu, dass sich dies beinahe wie das Rezept für ein Gericht anhört, das in Tat sogar ein wenig Appetit machen kann.


Warum ist der Klang von Vinyl deiner Ansicht nach der beste?

Der Klang von Vinyl ist natürlich einer der Gründe, warum ich Platten so gerne höre. Ich liebe diesen sagenumwobenen warmen Klang, von dem so oft die Rede ist. Aber es geht mir genauso sehr um das Ritual, die Platte auszusuchen und sie auf den Plattenteller zu legen. Auch wenn dies alles ein wenig umständlich sein mag.


“Die Tatsache, dass von dem Zeitpunkt, an dem man eine Platte ins Visier genommen hat, bis zu dem Zeitpunkt, an dem man genug gespart hat und um die halbe Welt gereist ist, um sie zu finden, Jahre vergehen können, hat etwas überaus Schönes an sich.”




Oftmals habe ich auch das Gefühl, dass es zwar ein großer Aufwand ist, dass dies vielleicht das Mindeste ist, was ich für die Künstler*innen tun kann, die höchstwahrscheinlich mit Leib und Seele daran gearbeitet haben, dass alles genau so klingt, wie es klingt. Dies alles macht zudem Lust darauf, das Hörerlebnis einer Platte in einem viel höheren Maße zu inszenieren. Wenn du die Platte, nach der du vier Jahre lang gesucht hast, zum ersten Mal anhörst, sollten deine drei besten Freund*innen in deinem Wohnzimmer sitzen und die Gläser sollten gut poliert und mit Wein gefüllt sein und die Fenster sollten geputzt sein. Mit anderen Worten: Mit ein wenig Einsatz kann man das Hörerlebnis gleich um ein Vielfaches aufwerten.

Watch the reel with Jonas Visti at @madsnorgaard here