Interviews

Tore Hallas über Dicksein und Mode

Tore Hallas ist Teil unserer Summer-Read-Reihe – einer Reihe von Interviews, die Talente feiert und möglicherweise die gängigen Vorstellungen darüber, was in uns selbst und in anderen Talente zum Vorschein bringt, in Frage stellt, in ein neues Licht rückt oder gar erstrahlen lässt.

Das Interview wurde von dem Journalisten Kasper Steenbach geführt.

Tore Hallas ist eine der Hauptpersonen in der Winterkollektion von Mads Nørgaard. Hallas, geboren 1984, ist Absolvent der Königlich Dänischen Akademie der Schönen Künste und arbeitet vor allem mit Videokunst und Fotografie, die um die Themen Dicksein und Homosexualität kreisen.

Warum hast du zugestimmt, an dieser Kampagne teilzunehmen?

Ich habe sehr gezögert, ja zu sagen, weil die Modeindustrie dicke Menschen hasst. Sie verabscheut uns. Sie würde uns lieber nicht in ihrer Kleidung sehen. Und ich habe in der Vergangenheit die Zusammenarbeit von Künstler*innen mit der Modeindustrie oftmals kritisiert, weil sie sich am Ende auf die Bedingungen der Modeindustrie einlassen und sich, offen gesagt, auf deren Niveau begeben.

Wenn z. B. eine Künstlerin*in oder eine Kunstinstitution mit Kleidung arbeitet, sei es in Zusammenarbeit mit der Modeindustrie oder nicht, und nicht automatisch auch Plus-Size-Größen einbezieht, werden dicke Menschen aktiv davon ausgeschlossen, diese Werke erleben zu können. Würde es zum Beispiel akzeptiert werden, wenn man ein Werk erschaffen würde, das nur von Heterosexuellen erlebt werden kann? Nein, nicht wahr? Warum ist es also in Ordnung, mich von etwas auszuschließen, weil ich dick bin, wenn wir uns alle darauf einigen können, dass es nicht in Ordnung ist, mich auszuschließen, weil ich schwul bin?

Man könnte vielleicht sagen, dass ich eher als Privatperson an der Kampagne teilnehme als als Künstler, obwohl man diese beiden Dinge wohl nie wirklich trennen kann. Und auch wenn ich gesagt habe, dass es sich hier endlich um eine Qualitätsmarke handelt, die sich entschlossen hat, einigermaßen inklusiv zu sein, so möchte ich dennoch betonen: Mads Nørgaard könnte es noch viel besser machen: Ihr seid nicht inklusiv genug, Mads! Und dagegen müsst ihr ASAP etwas unternehmen! Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung, und soweit ich weiß, ist dies die erste dänische Herrenbekleidungsmarke in dieser Klasse, die das tut. 

Für mich ist es überaus Zufriedenstellen, daran beteiligt zu sein, nachdem ich mein ganzes Erwachsenenleben lang von solchen Dingen ausgeschlossen wurde. Aber man kann sich fragen, ob es wirklich sinnvoll ist, als Künstler kommerzielle Kooperationen einzugehen, und viele andere Projekte habe ich deshalb auch schon abgelehnt. Zudem habe ich auch deshalb ja gesagt, weil ich nie gedacht hätte, dass ich einmal für irgendetwas modeln würde.

 

 

Wie erlebst du die Modeindustrie als Verbraucher?

Überaus ausgrenzend. Nur sehr wenige Qualitätsmarken bieten Plus-Size-Größen an, und die Auswahl ist meist sehr klein. Besonders für Männer. Und dann gibt es da noch all die zusätzlichen Hindernisse. Die meisten Menschen sind sich nicht darüber im Klaren, dass die meisten Marken mit Plus Size eine indirekte ‚Gebühr für das Dicksein‘ erheben, weil man diese größeren Größen nur online kaufen kann und normalerweise Versand- und Rücksendegebühren anfallen. Darüber hinaus variieren die Größen bei den größeren Größen viel stärker, sodass man nie weiß, welche Größe man bestellen soll – um nur einige der praktischen Probleme zu nennen. 

Die meisten dicken Menschen ab einer bestimmten Größe, die sich auch nur ansatzweise für Mode interessieren, leiden in Bezug auf Kleidung außerdem zumeist unter einer Art von Trauma. Wenn man sich nicht aussuchen kann, was man anziehen möchte, sondern sich mit dem begnügen muss, was zur Auswahl steht, kann dies das Selbstbild stören.

Und die Gewichtsdiskriminierung der Modeindustrie ist überall zu finden. Zum Beispiel auch bei Schuhen und Accessoires. Kürzlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass sogar die Crossbody-Taschen zweier großer und teurer Marken viel zu klein für mich waren. – Und wir sprechen von Taschen, die von der Schulter hängen müssen! Die Verkaufsperson in einem Geschäft war darüber ebenfalls sehr peinlich berührt, denn ich kam in den Laden und signalisierte, dass ich gerne den ganzen Laden kaufen möchte – und dann passte nicht einmal eine Tasche. Als ich den Laden verließ, sah ich, wie sie frustriert mit ihren Kollegen sprach. Frustriert von der gesamten misslichen Lage und wahrscheinlich auch von der Tatsache, dass sie keinen Verkauf abschließen konnte. Einige Marken möchten lieber vermeiden, dass dicke Menschen mit ihrer Marke in Verbindung gebracht werden, als das Geld zu verdienen, das wir gerne bereit sind auszugeben. Der Hass auf dicke Körper ist sogar derart groß, dass er die Grundprinzipien des Kapitalismus auszuhebeln scheint, und die Angst, mit uns gesehen zu werden, sitzt uns in den Knochen – oder besser gesagt, in unserem Fett. Und dies spiegelt sich auch im Rest der Gesellschaft wider.

 

 

Gibt es in der Modeindustrie auch in anderen Bereichen Diskriminierungen?

Mode wird oft zu einer Kunstform oder einer wesentlichen Ausdrucksform erhoben, aber wenn man so über Mode spricht, vergisst man dabei, dass sie zu den am stärksten ausgrenzenden Formen überhaupt gehört. Kleidung ist die Ausdrucksform der Privilegierten. Dinge wie die ökonomische Klasse und das Körpergewicht bestimmen den Zugang zu und den Ausschluss von der Freiheit dieses Ausdrucks, und weil es in erster Linie diese beiden Gruppen betrifft, ist dies vielen egal – Arme und Dicke sind unerwünscht.

Auch Race spielt in Bezug auf Kleidung eine Rolle. Eine nicht-weiße Künstlerkollegin schilderte mir ihre Erfahrung, dass eine dünne, weiße Person es sich erlauben kann, sich auf eine Weise zu kleiden, für die eine dicke, nicht-weiße Person abgestempelt werden würde. Sie würde misstrauisch beäugt werden, wenn sie sich nicht die Mühe machte, mit ihrem Auftreten zu signalisieren, eine gutbürgerliche Konsument*in zu sein. Junge Männer in Kapuzenpullis wurden von der Politik als Mittel der Angstmacherei gebrandmarkt, aber wir wissen, was damit eigentlich gemeint ist: Es sind nämlich nicht die Kapuzenpullis der weißen Männer, mit denen sie ihre rassistische Politik zu rechtfertigen versuchen.

Und ich könnte mir durchaus vorstellen, dass nonbinäre und insbesondere transsexuelle Menschen ähnliche Erfahrungen machen, denn Kleidung spielt in unserer Wahrnehmung des Geschlechts einer Person eine sehr große Rolle. Zu diesem Thema kann ich die schöne Essaysammlung ‚Look’ von Luka Holmegaards sehr empfehlen, in der eine dünne, nicht-binäre Person darüber schreibt, wie sehr die Geschlechtsidentität mit Kleidung in Verbindung steht. Kleidung als Erkundung des Selbst. Eine dicke Person in einer ähnlichen Situation wäre von einer solchen Erkundung jedoch bis zu einem gewissen Grad komplett ausgeschlossen. Welche Erfahrungen und Möglichkeiten der Identitätsexploration hätte eine dicke Trans-Person diesbezüglich also?

Auf Minderheiten aller Art wird immer wieder Druck ausgeübt, sich besonders Mühe zu geben. Ich kann nicht in den Supermarkt gehen, wenn ich scheiße aussehe, ohne böse Blicke zu ernten, weil zum Beispiel Dicksein und Flecken auf einem Hemd ein bestimmtes Vorurteil triggern. Mein dünner Freund kann sich das aber erlauben, um es einmal ganz plakativ zu sagen.

 

 

Könntest du dir vorstellen, Kunst zu diesem Thema zu machen?

Ja, das könnte ich, selbst wenn ich aktuell keine diesbezüglichen Pläne habe. Kleidung ist sicherlich nicht gleichgültig, dennoch gibt es andere Themen, die für mich als Künstler wichtiger sind. Aktuell beschäftige ich mich mehr mit dem, was unter der Kleidung ist. Wenn ich mit dem Thema Dicksein arbeite – ich arbeite auch mit anderen Themen – beschäftige ich mich mit der Körperlichkeit des dicken Körpers und vor allem mit all den strukturellen und interpersonellen Diskriminierungsformen, die dicke Menschen erfahren, wenn sie auf die Welt der Dünnen treffen, und das zumeist in einem queeren Kontext. Das heißt, Dicksein bewirkt in Bezug auf die dich umgebende Welt eine Form von Andersmachung (Othering). Und wenn man sich nicht so kleiden kann wie alle anderen oder auch nur so, wie man es gerne möchte, dann ist dies etwas, das einen wirklich auf eine sehr sichtbare Weise anders macht.