Interviews

Ayşe Dudu Tepe über ihre berufliche Laufbahn

Ayşe Dudu Tepe ist Teil unserer Summer-Read-Reihe – einer Reihe von Interviews, die Talente feiert und möglicherweise die gängigen Vorstellungen darüber, was in uns selbst und in anderen Talente zum Vorschein bringt, in Frage stellt, in ein neues Licht rückt oder gar erstrahlen lässt. 

Das Interview wurde von dem Journalisten Kasper Steenbach geführt.

Ayşe Dudu Tepe, geboren 1980, ist eine der Hauptpersonen der Winterkampagne von Mads Nørgaard. Sie hat eine Liebeskummergruppe gegründet und geleitet, und als Journalistin, Texterin, Model, Radio- und Podcast-Moderatorin gearbeitet. – Aber gibt es einen roten Faden bei all dem, womit sie sich beschäftigt hat?

Welches Studium oder welcher Job hat deine Lebenseinstellung am meisten beeinflusst?

2005 begann ich mein Studium der Assyriologie an der Universität Kopenhagen. Ich war 25. Ich war schwanger. Ich war verwirrt und glücklich zugleich. Damals wohnte ich mit meinem Freund im Kopenhagener Stadtteil Vesterbro. Der Geburtstermin war am 5. Januar. Am 9. Januar kam sie zur Welt. Ich wollte nicht in Elternzeit gehen. Ich wollte studieren, um mehr über die folgenden Themen zu erfahren: Über die Menschen in der Welt. Über mich selbst als Teil der Welt. Und über die Welt in mir. Manchmal saß ich mit diesem kleinen neuen Leben in meinen Armen und stillte es, während des Unterrichts. Wie man so schön sagt: Wissen wird mit der Muttermilch aufgesaugt.

 

 

Was war das Ziel beim Studium der Assyriologie?

Ich wollte die Menschen verstehen. Ich wollte verstehen, warum wir Geschichten auf die Weise erzählen und erfinden, wir es tun. Und was es uns ermöglicht, die Menschen dazu zu bringen, diese Geschichten zu glauben. Ich meine, es ist schon erstaunlich, dass man Menschen dazu bringen kann, an einen Wassergott zu glauben. Gar nicht zu reden von einem Donald Trump. Ich dachte mir, um das zu verstehen, muss ich dort anfangen, wo die Menschen angefangen haben, Geschichten zu erzählen – zumindest in schriftlicher Form. Deshalb habe ich angefangen, Assyriologie zu studieren – die Geschichte des alten Mesopotamien. Hierfür musste ich die Keilschrift erlernen, also eine ganz andere Sprache, wenn nicht gar eine ganz andere Denkweise. Dabei zeigte sich allerdings, dass die Menschen damals auch nur Menschen waren, genau wie wir heute. Wir sind das einzige Tier auf diesem Planeten, das die absurdesten und fesselndsten Geschichten erdichtet, die Kriege, Liebe, Verschwörungen, Religionen und Bedeutung hervorbringen. Denn was zum Teufel ist denn eigentlich der Sinn des Ganzen? Irgendwann, nachdem ich genug Texte gelesen hatte, wurde mir klar, dass ich konkreter arbeiten wollte. Auch wenn die Keilschrift ziemlich anschaulich ist, war mir das alles ehrlich gesagt zu philologisch, weshalb ich ein Studium der Vorderasiatischen Archäologie begann. In diesem Fach wird materielle Kultur herangezogen, um den Menschen und die Systeme zu studieren, die wir geschaffen haben, um zu leben, zu überleben und Vergnügen zu empfinden, aber auch, um uns weiterzuentwickeln. 

 

 

Was hast du durch dein Studium der Assyriologie und Vorderasiatischer Archäologie über dich selbst gelernt?

Dass ich nur ein Teil der Geschichte bin. Dass ich nicht einzigartig bin – nichts Besonderes. Dass ich alles bin und zugleich nichts. Aber ich habe auch gelernt, wie verrückt der Mensch eigentlich ist. Dass wir im Grunde nur voneinander lernen können. Denn es ist ja nicht so, dass wir der Natur etwas beibringen können. Ganz im Gegenteil! Wir zerstören sie, um sie zu nutzen. Wir domestizieren Tiere, um sie zu unseren besten Freunden zu machen. Wir essen sie. Wir zerstören die Natur, um hier sein zu können. Aber all das wird damit enden, dass die Natur uns vernichtet. Das hat sie auch schon früher getan. Die Menschheit ist aber ein verdammt guter Survivor, weshalb sie wohl neue Systeme und Erzählungen schaffen wird.

 

 

Was hast du über das Leben gelernt?

Dass wir in einer Gemeinschaft leben. LOL. Nein, aber im Ernst, da ist etwas Wahres dran. Wir leben als Teil einer Gemeinschaft, die überaus gut darin ist, zu leben und sich gegenseitig hinters Licht zu führen. Aber das ist wohl der Preis für ein Leben in einer Gemeinschaft, ja vielleicht sogar die Prämisse dafür, dass wir uns von den Geschichten anderer täuschen lassen. Das ist die Macht der Narrative. Im Grunde ist alles nichts anderes als eine große Fiktion, und auf individueller Ebene kommt das Ende für uns alle dann, wenn wir sterben, aber was das Ende der Geschichte auf einer allgemeinen Ebene sein wird, das weiß ich nicht.



Inwieweit hängt dein Studium mit dem zusammen, womit du dich seither beschäftigt hast?

Heute ist meine Tochter 16 Jahre alt, und in den Jahren, die vergangen sind, habe ich auf eine Weise immer das Gleiche getan, jedoch immer durch verschiedene Medien: Journalismus. Mode. Die Liebeskummergruppe. Immer habe ich mit Geschichten gearbeitet. Mit meinen eigenen. Mit den Geschichten anderer. Manchmal hatte ich die Befürchtung, dass ich mir mit meinem Streben nach Verständnis selbst im Wege stehe. Ich bin davon überzeugt, dass alles einen tieferen Sinn hat. Dass das auch für die Menschheit gilt. Für alles. Es muss eine Erklärung dafür geben, warum wir tun, was wir tun. Ich musste aber auch erkennen, dass wohl nicht hinter allem etwas Tieferes verborgen liegt. Dass es vielfach nur eines ist: Banal. Dass wir einfach ein gutes Leben führen wollen, ohne allzu viel Schmerz zu erfahren. Und dennoch sind wir so unglaublich gut darin, einander genau diesen Schmerz zuzuführen. Kennst du die Situation, dass man einen alten Freund zufällig auf der Straße trifft und er dich fragt: „Wie geht es dir?“, und du sagst: „Gut, wie geht es dir?“, und er antwortet: „Gut“, und damit das Gespräch auch irgendwie schon beendet ist? Die Geschichte ist zu Ende. Dann spricht man wohl noch ein wenig darüber, wie schlecht das Wetter gerade ist. – Oder wie gut. Und dann war´s dann. Es scheint, als ob uns nur Trauer oder Schmerz zusammenbringen können. Wenn wir Trauer und Schmerz empfinden, können wir uns auf die Welt einlassen. Und auf das Leben anderer. Schmerz ist ein Leim. Freude hingegen ist ein Lösungsmittel.